Reclaim the Cities: Deutschlands Superblock-Bewegung

Lesezeit: 16 Min.

Ich war also als Teil meiner Bürgerinitiative aus Köln für ein Wochenende in Darmstadt, eingeladen von einer Organisation aus Berlin. Zu Gast: Noch rund 20 andere Städte, von München bis Hamburg, von Kempen bis Leipzig.

Anlass des Ganzen: Die deutsche Superblock-Bewegung, erstmalig zusammengebracht in einer Konferenz. (Details zu Superblocks siehe unten – In Kürze: Wir machen ein Stadtviertel sicherer und lebenswerter.)

…Da war was los, kann ich euch sagen! Fantastische Menschen, tolle Projekte und eine super positive Aufbruchstimmung.

Da ich völlig inspiriert und motiviert nach Köln zurückkam, musste das Ganze auch für Walby zum Thema werden; ich habe mich also kurzerhand mit der großartigen Ragnhild verabredet, die schon seit fünf Jahren in Sachen PR für die Berliner Kiezblöcke bzw. Changing Cities aktiv (und scheinbar mit allen Wassern gewaschen) ist.

Unsere Fokusthemen: Die häufigsten Vorurteile und Ressentiments der Menschen gegen Veränderung (positive, wohl gemerkt!), warum die so schwer zu erreichen ist, selbst wenn sie von allen gewünscht wird und natürlich: Superblocks!

Ragnhilds Expertise trifft im Folgenden auf meine Gedanken und Erfahrungen zum Thema nachhaltige Stadtgestaltung bzw. Superblock – Have fun!

…Julia_TeamWalby…

Der Begriff Superblock klingt für mich total ansprechend, manche sagen aber auch, es habe für sie eine Konnotation von „dagegen!“ wegen der „Blockade“-Assoziation. Ja, kann ich schon auch verstehen. Allerdings bin ich ganz gerne mal dagegen, daher stört mich dieser Bedeutungsaspekt nicht, eher im Gegenteil.

Tatsächlich steckt aber ein super positiver, nach vorne gerichteter Gedanke dahinter: Nämlich urbane Räume, das heißt zum Beispiel ein Stadtviertel oder einen Teil davon, wieder in einen Mensch-zentrierten Zustand zu versetzen; unser direktes Umfeld also lebenswerter zu machen.

Die Idee des Superblocks ist, mehr Freiraum und Sicherheit für Menschen und nachhaltige Mobilität zu schaffen, indem man unnötigen Durchgangsverkehr rausfiltert und Schleichwege verhindert. Da kann aber auch noch viel mehr dazu gehören, wie die Ursprünge in Barcelona und deren heutige Ausgestaltung sehr schön zeigen: Am Ende kommen da wahnsinnig lebenswerte, gesündere, sichere und für ALLE faire urbane Räume bei raus.

Am Anfang muss dafür aber immer eine Gruppe motivierter Menschen stehen, die eine Vision haben und es einfach mal anpacken.

Ragnhild Sørensen_ChangingCities
Wir haben ja 2015/16 den Volksentscheid Fahrrad in Berlin gestartet. Als erster Radentscheid in Deutschland haben wir innerhalb von dreieinhalb Wochen über 100.000 Unterschriften gesammelt, für ein fuß- und radfreundliches Berlin. Und im Zuge dessen war klar: Wir brauchen Spenden, wir müssen eine Organisation dahinter haben, das kann man nicht als Einzelpersonen machen. Und daraufhin haben wir Changing Cities als Verein gegründet, mit dem Ziel, nicht nur den Radentscheid umzusetzen, sondern lebenswerte Städte zu fördern.

Wir wollten nicht einfach so ein Verein sein, der einmal im Jahr eine Mitgliederversammlung hat und dann kann man Anträge stellen und der Vorstand entscheidet, was gemacht wird. Die Grundidee ist, schnell und agil zu sein. Das ist eine ganz andere Art und Weise in der modernen Gesellschaft aktiv zu sein, wenn wir politisch was erreichen wollen.

Wir wollen vor allem schnell sein und auf die Welt reagieren können, deswegen haben wir gesagt, wir brauchen nur 12 Mitglieder. Aber im Prinzip kann jeder beitreten, der kommt und sagt: „Ich bin unzufrieden damit, wie der öffentliche Raum vor meiner Haustür ist, ich möchte da was ändern!“

Die Grundidee ist, schnell und agil zu sein. Das ist eine ganz andere Art und Weise in der modernen Gesellschaft aktiv zu sein, wenn wir politisch was erreichen wollen.

…Julia_TW…

Als Bürokratie-hater und Verteidigerin kurzer Wege klingt das für mich grandios, ich möchte mich am liebsten sofort wieder auf die Straße setzen. Aber – ich weiß! – so geht die Verkehrswende auch nicht wirklich voran. Aber ohne Intervention halt auch nicht. Oder in absurd kleinen, langsamen Schritten.

Warum eigentlich – Es sind doch lauter nachhaltige Stadtentwicklungen eigentlich offiziell beschlossene Sache…!? Warum müssen wir uns noch so arg selbst bemühen?

Ragnhild_CC

Es ist wichtig, weil sonst nichts passiert. Beim Volksentscheid Fahrrad [Anm.d.Red.: Bürger*innenumfrage zu lokalem Verkehrswandel 2016] haben wir festgestellt: Es gab in der Bevölkerung in Berlin zu dem Zeitpunkt einen riesigen Bedarf an Veränderungen und Transformationen.

Aber die Politik und die Verwaltung haben gesagt: Nö, sehen wir überhaupt nicht ein. Und deswegen haben wir das seitdem immer so geframed, dass wir sagen: Wir haben eine städtische Bevölkerung, die sehr, sehr viel mehr will, die sich ihr Umfeld ganz anders wünscht als das, was im Moment von den meisten Politiker*innen und von den Verwaltungen und im ganzen Diskurs überhaupt so erwartet wird.

Diese Leute wollen wir vertreten, das schaffen wir aber nur, wenn es uns gelingt, die Verkehrspolitik – die damals, also 2015/16, quasi Ingenieurswissenschaft war – wenn wir diese politisieren und sagen: Wir sind zwar „nur“ Bürger und Bürgerinnen, wir sind „nur“ die Zivilgesellschaft, aber wir leben hier und wir wissen, was vor der Haustür vorgeht und wir sind auch ein Stück weit Expert*innen, die mitreden können. Es kann nicht sein, dass wir diese wirklich, wirklich wichtigen Entscheidungen nur irgendwelchen ganz, ganz wenigen Expert*innen überlassen, sondern wir müssen in einen Dialog kommen.

Klar, die Expert*innen brauchen wir, aber wir müssen in den Dialog kommen zwischen Zivilgesellschaft und Expertentum, Verwaltung und Politik, um die Verkehrswende voranzutreiben. Wenn wir nur sagen, wir warten darauf, dass die das machen, dann kommen wir nicht voran.

…Julia_TW…

Völlig absurd kommt mir das immer wieder vor: Die ganze Welt weiß gefühlt inzwischen, in welche Richtung wir alle gehen sollten, nein, müssen – aber die Veränderung kommt irgendwie nicht in Schwung. Dabei ist der Status quo ist doch so offensichtlich längst überholt; die meisten Stadtteile sind ganz deutlich und spürbar nicht mensch- sondern vor allem autogerecht.

Das hat übrigens mit einer Stadtflucht-Tendenz in den 80er Jahren zu tun, die man aufhalten wollte, indem man u.A. die Autobequemlichkeit in den Städten förderte – durch die Schaffung möglichst vieler Straßen und Parkplätze.

So, diese Situation ist seit über drei Jahrzehnten vorbei, die Städte quellen vor Menschen über, aber optimiert sind sie nach wie vor für Autos. Dieses Erbe haben wir nun wohl lang genug ausgehalten; es ist Zeit – nicht zuletzt wegen der klimatechnisch relevant gewordenen Veränderungen – die Städte, respektive den öffentlichen Raum, zurückzuerobern.

Bürger*innen vs Beharrungskräfte

Ragnhild_CC

Es gibt langsam ein Bewusstsein dafür, dass etwas passieren muss, auch auf Grund des Klimawandels. Wir müssen irgendwo reagieren, wir müssen anfangen, die Sachen neu zu bewerten und neu umzusetzen. Aber die Beharrungs-Tendenzen in der Verwaltung und der Politik hängen da fest wie im Sumpf und die können da nur sehr schwer von wegkommen.

Manchmal hat es gute Gründe. Das sind vielleicht ältere Menschen, die nicht mehr so beweglich sind. Manchmal sind es auch einfach Menschen, die etwas 30-40 Jahre lang gemacht haben, und dann glaubt man ja schon dran, dass das richtig ist, auch wenn die Welt sich inzwischen geändert hat. Und manchmal sind es ganz klare, ideologische Gründe: Man will gar keine Veränderung.
Diese Beharrungskräfte sind überall, und wenn wir einfach still bleiben und nicht ganz klar Akzente setzen und artikulieren, was wir politisch wollen, dann werden die Beharrungskräfte siegen.

…Julia_TW…

Es gilt also, die Dinge umzusetzen, die wir brauchen, die auch politisch theoretisch gewollt sind, die aber noch im zähen Sumpf von übermüdeten Verwaltungen und übersättigten politischen Instanzen nicht wirklich in die Tat umgesetzt werden. Check.

In genau diesem Spirit stand ja auch die Superblock-Konferenz in Darmstadt, da haben sich die deutschlandweiten Superblock-Initiativen erstmals getroffen. Alles Menschen, die sich ehrenamtlich dafür einsetzen, ihre Stadt nachhaltiger und fairer zu gestalten. Das Interesse an diesem Thema ist zuletzt offenbar bedeutend gestiegen – vor ein paar Jahren hat da noch kein Hahn nach gekräht.

Ragnhild_CC
Hintergrund ist, dass wir 2020 in Berlin eine Art Superblock-Bewegung gestartet haben – in Berlin heißen die halt „Kiezblock“, weil in Berlin gibt‘s „Kieze“.
Diese Bewegung haben wir z.T. auch aus Frust gestartet. Wir haben gemerkt: Das Mobilitätsgesetz haben wir zwar vorher verhandelt und das wurde verabschiedet, aber die Umsetzung geht wahnsinnig langsam voran. Und dann haben wir gesagt, dass wir woanders ansetzen müssen; das reicht offensichtlich nicht, dass man ein Gesetz hat, um die Verkehrswende umzusetzen. OK, was können wir sonst machen…?

Und da haben wir die Ideen aus Barcelona gesehen, die waren sehr inspirierend zu dem Zeitpunkt. Und wir haben gesagt, wenn sie das können, dann können wir das auch.

Dann haben wir versucht, diese Bewegung in Berlin zu starten und haben jetzt 70 Kiezblock-Initiativen in Berlin alleine, wovon etwa 29 in der Umsetzung sind. Das ist wahnsinnig schnell gegangen, und wir haben natürlich gemerkt: OK, wenn das in Berlin funktioniert, wird’s auch woanders funktionieren. Das heißt: Wir haben hier erstmal viel, viel, viel Erfahrung gesammelt: Wie das funktioniert, wie es geht, wie kann man so viele Menschen überhaupt organisieren, was müssen sie selber machen, was brauchen sie von uns, und so weiter.

Und dann haben wir gesagt: Jetzt glauben wir, dass wir so weit sind, dass wir das auch bundesweit ausrollen können. Die Idee war, dass wir mit einer Konferenz starten für die Gruppen, die es in Deutschland überall gibt; die rufen uns ja ständig an und sagen: „…Könnt Ihr nicht helfen, wir würden auch gerne!“ – und dann haben wir gesagt, wir müssen das bündeln und versuchen, einen Startschuss zu geben; dass wir jetzt losziehen und Superblocks bundesweit hochskalieren.

…Julia_TW…

Klingt zu schön um wahr zu sein: Die Vorstellung, wie immer mehr Menschen in immer mehr Städten das Potential einer menschenfreundlicheren Umgebung wahrnehmen – Und diese dann auch mit dem Schwung des Kollektivs einfach umsetzen.

Und wie sich zeigt, braucht es dafür ja noch nicht mal größere Bauunterfangen oder dergleichen – au contraire! – ein paar Poller reichen für den Anfang schon! Durch wenige, recht einfache Umgestaltungen zwecks Umlenkung des Durchgangsverkehrs ist schon das Gröbste geschafft.

Sinnvoll ist was anderes.

Ragnhild_CC

Wieso muss denn Verkehr, den ich gar nicht will, durch mein Wohnviertel durchfahren? Was hat der überhaupt hier zu suchen?!
Die Luft wird dreckiger, es macht Lärm, das Viertel wird unsicherer für Kinder und Senioren, für alle – das macht überhaupt keinen Sinn!

Natürlich könnte der Verkehr auch, wenn wir es wollen, eine andere Route wählen. Aber das muss man organisieren, das muss man verkehrstechnisch einleiten und verschiedene Maßnahmen ergreifen. Aber im Grunde gibt es überhaupt keinen Grund, dass dieser nicht-lokale Verkehr ausgerechnet durch solche Wohnviertel fahren sollte.

…Julia_TW…

Weniger unnötiger Verkehr klingt für mich total logisch, führt bei Vielen aber leider nicht dazu, dass sie „Heureka!“ schreien. Dabei sind doch alle in den Städten längst genervt; meine These ist, dass das zwei klare Gründe hat: 1. Kapitalismus, 2. Menschenunfreundliche Stadtgestaltung.

Punkt 1. lassen wir an dieser Stelle mal liegen, sonst ereifere ich mich wieder in einem ungesunden Ausmaß. Tut hier außerdem grad nicht so viel zur Sache. Außer wenn es um die Autolobby geht… aber nein – ein andernmal. 

Punkt 2. ist hier der relevantere: Es ist im Sommer zu heiß (u.a. wegen zu viel Verkehr), es ist ungesund durch die schlechte Luft (u.a. wegen zu viel Verkehr), es ist gefährlich und laut (u.a. wegen zu viel Verkehr), es ist mühsam aufgrund fehlender Mobilitätsangebote, es ist für viele zu einsam und es ist unfair, da unsere Städteplanung bisher für Erwachsene, Männer und Menschen ohne Behinderung optimiert ist.

Klingt hart, ist aber so.

Sollte man ändern? Ja, finde ich auch.

Also woher diese Zurückhaltung angesichts städtischer Veränderungen, wo die Vision doch eine so positive ist, frage ich mich viel zu oft – und nun auch mal die Ragnhild.

Sessel, Grills & Schränke auf dem Parkplatz

Ragnhild_CC
Das geht ja fast immer um die Parkplätze. Sie sind das Problem. Die Menschen denken, dann kann ich zukünftig nirgendwo parken.

Es ist diese Bequemlichkeit, an die wir uns gewöhnt haben – das muss man ja auch einfach sagen: Es ist extrem bequem, sich ins Auto reinzusetzen; es regnet ein bisschen und dann fahre ich fünf Minuten zur Bäckerei; und dann mach ich das einfach, weil ich‘s kann. …Ob das Sinn macht?!
Ob das effizient ist im Sinne von Ressourcenverbrauch? Diese Fragen stellen wir uns [A.d.R.: die Allgemeinheit]  nicht. Das sind aber die Fragen, die wir [A.d.R.: Changing Cities] gern stellen würden, weil wir glauben, wir müssen auch mehr über die Bequemlichkeit reden, die ja total nachvollziehbar ist.

Aber wir müssen einfach ein Stück weit von dieser Auto-Bequemlichkeit wegkommen, weil wir ja auf anderen Ebenen so viel dazugewinnen: Also alles von Bewegung hin zu viel gesünderen Städten mit weniger Autoverkehr [A.d.R.: Dazu gesellen sich u.A. mehr Verkehrssicherheit für Kinder und Radfahrende, Lärm- und Hitzeschutz, Sitzangebote v.a. für Ältere oder Stillende, mehr Inklusion für Mobilitätseingeschränkte, freie Bewegungs- und Kommunikationsräume für alle, usw.!]  – Aber das ist halt ein langer Weg, weil die Menschen sich das gar nicht vorstellen können.

Und wenn die Leute dann sagen „…Aber mein Parkplatz!“, dann liegt es zum Teil daran, dass seit 70 Jahren die Parkplätze oft gar nichts kosten – das heißt, die Leute denken: Ich hab das Recht, mein Auto auf der Straße abzustellen. Ich sag immer: Ja, denkst du vielleicht Aber warum habe ich nicht das Recht, meinen Schrank auf den Parkplatz hinzustellen?!

Es sind nur Autos, die dort stehen dürfen. Es ist nur für Kfz-Verkehr und das kostet eben auch nichts, obwohl der öffentliche Raum eigentlich teuer und wertvoll ist!

…Julia_TW…

Tja, der öffentliche Raum – das ist so eine Sache. Wird ja leider oft missverstanden. Könnte aber so schön sein: Orte der Begegnung, des Müßiggangs, des Spiels, des Nahrungsanbaus, der Arbeit im Freien, des Feierns, der Gemeinschaft, und, und, und. In meiner Straße ist davon zum Beispiel nichts zu sehen, stattdessen sind hier auf rund 170 Metern stolze 88 Autos geparkt. Und damit ist der Platz dann auch aufgebraucht. Der auf dem Bürgersteig an vielen Stellen leider auch, btw.

Kleine Anekdote: Ich hab daher fast drei Jahre lang die Stadt angerufen und angeschrieben, um mal ein paar der Parkplätze in Bäume, bestenfalls inkl. Sitzplatz und Fahrradständer umzuwandeln. …Jeez!! – Was ich mir dazu schon alles hab anhören müssen! Aber ich denke halt auch, dieser Raum steht eigentlich allen zu. In diesem Spirit hat meine wundervolle Nachbarin statt eines Schranks mal einen kleinen Sessel für wartende Kund*innen vor ihren Salon zwischen die dort parkenden Autos gestellt – Da war das Ordnungsamt dann aber ganz schnell dabei, sie wegzuscheuchen. …Get your priorities straight, people!!

Langer Rede kurzer Sinn: Auch die Parkplatzflächen, von denen ja viele mehr wollen, sollten eigentlich weniger werden – Finde ich halt. (Und deswegen kommen meine Bäume auch 2024. Aufregung und Beschimpfungen bitte in den Kommentaren, haha.)

Ragnhild_CC
Ich gebe immer ganz gerne das Beispiel: In der Berliner Verkehrsplanung rechnet man so: Der Bewohner oder die Bewohnerin in Berlin soll ungefähr 400 Meter laufen müssen bis zum nächsten Mobilitätsangebot. Das ist also das, was wir von Leuten erwarten, die den ÖPNV nutzen. Das passt – stimmt nicht immer, manchmal ist auch ein bisschen länger und es ist nicht überall optimal – aber das ist zumindest die Vorgabe.
Man könnte ja auch sagen: Okay, wir nehmen das Mobilitätsangebot – und meinen nicht nur den ÖPNV, nicht nur den Bus, sondern auch mein Pkw. Und das wäre nur gerecht: Das ist kein Nachteil vom KFZ -Verkehr, sondern nur eine Gleichberechtigung, wenn ich 400 Meter zu meinen Pkw laufen müsste.

Über so viele verschiedene Arten und Weisen wird das Autofahren privilegiert im Verhältnis zu anderen Sachen und wir [A.d.R.: Unbedachte Autofahrer*innen] kennen die andere Seite gar nicht; wir denken gar nicht darüber nach, wie das ist, auf unsicheren Radwegen oder unsicheren Fußwegen zu fahren bzw. zu laufen. Oder wenn ich Bushaltestellen habe, die wahnsinnig schlecht einsehbar sind für den anderen Verkehr, und so weiter.

Es gibt so viel unterprivilegiertes Mobilitätsverhalten und das [A.d.R.: Mobilitätswandel]  ist jetzt nicht, weil wir die Autos loswerden wollen, sondern was wäre, wenn wir nur eine Gleichberechtigung schaffen würden, dann würde die Welt auf einmal komplett anders aussehen.“ Und ich glaube, da kann man sehr gut mit den Leuten auch ins Gespräch kommen, weil das einfach Sachen sind, die sie nicht wissen.

…Julia_TW…

Gleichberechtigung finden die meisten theoretisch super, aber wenn es dann ganz praktisch darum geht, Dinge zu verändern, gehen bei Vielen sofort alle Warnleuchten an, denn das klingt leider für die meisten erstmal nach Einschränkung (mir geht’s doch gut, warum dann am Status Quo rütteln?!) und dann wird hitzig nach Gegenargumenten gesucht: …Da werden dann bestimmt die kleinen Nebenstraßen überrannt! Dann finde ich ja GAR keinen Parkplatz mehr! Ich würde ja umdenken – aber es gibt dafür einfach nicht genug Öffis!…

Ragnhild_CC

Es bedingt sich immer gegenseitig: Je nachdem wie man das Angebot macht, wird es von den Menschen angenommen.
Was sollen wir auch sonst machen? Wir können ja nicht selber Bus fahren, also wenn da keiner ist, dann ist da halt keiner und wenn es zu gefährlich ist mit dem Rad, dann fährt man eben nicht mit dem Rad.

Und diese Lenkungsmöglichkeit, die immer als Verbote verkauft werden, da müssen die Menschen nur verstehen, das ist etwas ganz Normales, dass man einen Rahmen schafft, wie Verkehr funktionieren soll.
Das hat nichts mit Verboten zu tun oder dass wir das eine oder das andere nicht wollen.
Es hat etwas damit zu tun, wie wir denken, was gut und richtig ist.
Und mit dem Klimawandel gibt es noch ganz andere Anforderungen, die man eigentlich regeln muss.

Die Menschen, die dann sagen „…Aber mein Parkplatz!“, die sagen dann indirekt „Ich möchte nicht, dass die Fußgänger bessere Wege haben sollen, mehr Radwege oder einen besseren ÖPNV.“ Weil: Man kriegt nicht beides.

…Julia_TW…

Ich begegne in der Arbeit für eine nachhaltigere Stadtgestaltung immer den gleichen Ängsten potenziell Betroffener (abgesehen vom Parkplatz- und Nebenstraßen-Thema): 1. Dass man ihnen das Auto wegnimmt, 2. Dass sie nicht mehr zu ihrem Haus „durchkommen“ und 3. Dass dringliche Verkehrsteilnehmende wie Ambulanzen nicht mehr schnell genug zur richtigen Stelle „durchkommen“.

Paradox, wie oft ich diese Themen schon diskutieren musste. Vor allem, da insbesondere für die „Notfall-These“ gilt, dass das Gegenteil der Fall ist.

"Diese Verkehrsverpuffung ist das A und O"

Ragnhild_CC 
Das ganze Konzept ist so angelegt, dass man immer noch überall hinkommt mit seinem Kfz, am Anfang zumindest [A.d.R.: Erster Schritt auf dem Weg zu einem vollumfänglichen „Superblock] ist das vorgesehen: Man kommt überall in dem Wohnviertel hin, aber man kommt vielleicht nicht auf direktem Weg, so wie vorher, sondern muss einen kleinen Umweg fahren. Aus wissenschaftlicher Erkenntnis wissen wir aber, dass das nur am Anfang so ist.

Das heißt: Die Leute werden am Anfang schon noch den Umweg fahren, aber irgendwann denken sie, ich könnte auch die fünf Meter oder die fünf Minuten zur Bäckerei laufen, statt das Auto zu nehmen, weil ich muss jetzt so einen gefühlt langen Umweg fahren. Und diese sogenannte Verkehrsverpuffung ist das A und O, wodurch wir mit den Kiezblocks bzw. mit den Superblocks letztendlich den Verkehr in den Wohnvierteln reduzieren können. Also es geht wirklich um Verkehrsvermeidung vom Kfz-Verkehr und Verlagerung auf Fuß, Rad und ÖPNV.

Und wir wissen ja, wenn die Menschen umsteigen und sagen, ich lass mein Auto stehen und ich nehme das Rad oder gehe zu Fuß oder wie auch immer stattdessen, dann gibt es dieses eine Auto weniger im Straßenverkehr und das machen dann vielleicht auch andere Leute.

Und letztendlich heißt das: Die, die wirklich auf ihr Auto angewiesen sind, kommen schneller durch. Also vor allem der Wirtschaftsverkehr, Handwerker*innen, die Mobilitätseingeschränkten, die wirklich nicht anders können aus irgendeinem Grund, die haben da plötzlich einen viel flüssigeren Verkehr als im jetzigen Zustand. Das wird unterschätzt, auch weil die Leute sich nicht vorstellen können, dass es so funktioniert.

…Julia_TW…

Über das Thema (fehlende) Visionen hab auch ich schon oft nachgedacht. Ich glaube eigentlich nicht, dass es den Menschen an Kreativität mangelt, sondern eher an Flexibilität, Mut und Hoffnung auf tatsächliche Umsetzung. Spannend zu diesem Thema übrigens der Ansatz von Nicole Loeser vom Institute for Art and Innovation, den ich auf dem Barcamp „Ökologische Nachhaltigkeit in der Kultur“ Anfang September (‘23) aus ihrer Keynote mitnehmen durfte: „Aufgrund der komplexen sozioökonomischen, kulturellen und ökologischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert sind wertebasierte Visionen und eine starke Vorstellungskraft gefragt, in denen sich Menschen spiegeln können, um in positive Zukünfte steuern zu können“. Hier geht es also darum, kreative Kräfte zu nutzen, um wieder positive Visionen bei den Menschen zu evozieren. Denn ohne fehlt uns schlicht und einfach das Ziel vor Augen und damit auch Zuversicht, Elan und Mut.

Das Wichtigste an diesen positiven Zukunftsszenarien aus meiner Sicht: Sie müssen deutlich sein. Sie brauchen Konkretisierungen statt hohler Floskeln.

Ich war daher völlig begeistert von dem Novum, das quasi sein Debut auf der Superblock-Konferenz hatte: Die „Empfehlungen für Superblocks“ wurden der Öffentlichkeit vorgestellt. Wenn ich es recht verstanden habe, wurde dieses Werk geschaffen, weil wieder ein gewisser Frust mit den politischen Instanzen bestand – in diesem Fall der FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßenverkehr in Deutschland), die scheinbar ganz stoisch so ihr Ding macht, ohne dabei irgendwen von der Basis mal mitreden zu lassen.

Eine Konferenz, diverse Schritte nach vorne

Ragnhild_CC

In diesem Rahmen haben wir dann gesagt: Jetzt entwickeln wir Standards, aber wir machen es nicht wie die FGSV. Das ist nämlich ein geschlossener Kreis, du kommst da nicht rein, da ist gar keine Beteiligung und es ist komplett intransparent.

Wir haben deswegen einen offenen Prozess gestartet, wo wir Menschen eingeladen haben –aus Verwaltung, aus Behindertenverbänden, alle die was zu sagen hatten, – und sie gebeten, den ersten Entwurf zu bewerten. Und die haben dann immer Input gegeben und gesagt „…hier habt ihr uns echt vergessen“ oder „…das hier müssen wir noch berücksichtigen“ und dann haben wir versucht, einen offenen Prozess zu gestalten und das, was wir auf der Superblock-Konferenz präsentiert haben, war quasi das Ergebnis dessen. Also der Versuch, in einem ganz offenen Prozess mit der Gesellschaft gemeinsam Standards oder Normen zu definieren, wie wir Stadtentwicklung haben wollen.
Es ist natürlich sehr gut für die Kiez- und Superblocks, sowas zu haben und auch für die Verwaltung ist das total hilfreich. Aber es steckt auch der Wunsch dahinter, wieder alle Teile der Gesellschaft zu integrieren, wenn wir über etwas Gemeinschaftliches reden, wie den öffentlichen Raum.

…Julia_TW…

Ein echter Quantensprung, wie ich finde, denn tatsächlich haben auch wir in der Kölner Agnesveedel-Bürgerinitiative schon vor genau dieser Fragestellung gestanden: Was genau gehört denn nun dazu, ein Viertel lebenswerter zu machen? Offensichtlich sind wir damit nicht allein; Rund 20 Initiativen waren durch knapp 70 Leute bei der Konferenz vertreten – Allen gemeinsam war scheinbar das Bedürfnis nach genau solch einem Leitfaden.

Ragnhild_CC

Ich glaube, es ist eine sehr große Aufgabe für die Menschen, die Initiativen: „Was machen wir jetzt, wie kommen wir jetzt weiter? Dies und das könnte toll sein hier für mein Viertel, wenn es so werden würde, aber wie mach ich das letztendlich?
Und da hoffe ich ein bisschen, dass wir mit dieser Konferenz, mit Organizing-Seminaren, bundespolitischen Forderungen, Öffentlichkeitsarbeit und was es alles gab, geschafft haben, den Teilnehmenden konkrete Werkzeuge in die Hand zu drücken, damit sie auch weiterkommen können.
Das, glaube ich, war ganz wichtig. Und ich glaube, auch, dass es wichtig war, dass wir viele waren.

Denn viele sind so einzelkämpferisch unterwegs und haben gedacht ja, wie kann ich das machen, mit wem muss ich reden und so und das ist eine ganz klare Sache, die von der Konferenz hervorgegangen ist: Du brauchst Leute. Wir müssen das zusammen machen, das ist nicht etwas, was ein, zwei Leute hinkriegen.

Wir brauchen eine große Breite, wir brauchen den Einzelhandel in deinem Superblock, du brauchst die Kirche, die Schule, die Seniorenvertretung, was auch immer – du musst die alle überreden und mitnehmen, denn erst dann gibt es politisch genug Druck, um die Kommune dann auch wirklich zu bewegen. Und wenn man ihnen dann gleichzeitig die Standards hinlegt und sagt, „So geht das“, dann ist es schwer, nein zu sagen.

…Julia_TW…

Politische Instanzen dazu bringen, dass sie nicht mehr Nein sagen können. Klingt nach einem Plan.

Aber lohnt all der persönliche Einsatz?? Bringt das wirklich was?? Gerade diejenigen, welche noch am Anfang ihres Engagements stehen, haben im Angesicht der ersten Stolpersteine – und die gibt es immer an irgendeinem Punkt – oft diese Zweifel. I feel you – been there, done that.

Ragnhild_CC

Das ist ja oft das, was die Leute fragen: „Was kann ich machen, damit irgendwie alles hier besser wird, also soll ich jetzt weniger Fleisch essen oder soll ich Fahrrad fahren, oder was soll ich machen?“

Und unsere Antwort ist immer: Politisch aktiv zu werden ist das, was wirklich was bringt.

Es ist super, wenn alle Leute Fahrrad fahren und weniger Fleisch essen – aber politisches Engagement ist das, was wirklich was bringt.

Wenn man wirklich seine Waffen aussuchen will, dann ist das politische Engagement, wo man andere Leute mitnimmt, das, womit man wirklich was bewegen kann.

 

…what she said!! 🙂

Falls ihr noch zurückhaltend seid, weil das alles ein bisschen nach Arbeit klingt – ja, ist es tatsächlich. Lohnt sich aber und zum Glück muss man ja auch nicht gleich mit Volldampf lospreschen und einen ganzen Superblock konzipieren.

Für Einsteiger*innen ist es ganz interessant, erstmal zu schauen, was es in der eigenen Umgebung schon für Projekte gibt, die man vielleicht ganz den eigenen Kapazitäten entsprechend unterstützen kann. Oder – das war ja so mein Einstieg – ihr könnt eben kleine Veränderungen anstoßen, z.B. durch einzelne Maßnahmen wie meine Bäume. (Das geht in den meisten Städten über einen Antrag namens „Bügereingabe“ – mancherorts unter ähnlichem Namen – und was man da genau beachten muss, führe ich in einem anderen Artikel mal aus.)

Festzuhalten bleibt: Es lohnt sich. Die eigene Umgebung aktiv zu gestalten, macht unglaublich Freude und ist außerdem auf diversen anderen Ebenen gewinnbringend.

 

Wofür ihr euch auch entscheidet: Gebt uns gerne auf Walby Bescheid, wie es läuft, ob ihr Support sucht oder wenn ihr ein Event veranstaltet!

 

Eure Julia für Team Walby

 

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