Wahnsinns Entdeckung! …Mitten in Köln, direkt nebenan: Menschen.

Lesezeit: 8 Min.

Im Großen helfen und im Kleinen – Veedelsübergreifend in ganz Köln und gleich nebenan. Das ist Schmitz&Kunzt; Headquarter in der Richard-Wagner Straße 8. Hier direkt nebenan fällt erstmal Kölns bekannteste Baulücke ins Auge („Ein Skandel der Kölner Stadtpolitik!!“ – wer kennt es nicht). Historischer Standort also, interessantes Exterieur sowieso; Ballett-Schilder, der ehemalige Grundstücksbesitzer Eberhard Stöppke mit und ohne Schlagring (…whaaaaat?!), politisches Riesenzitat zum eben genannten Baulückenskandal, Kräuter-Hochbeete, ein selbstgezimmerter Bücherschrank, zwei futuristisch anmutende Elektrofahrzeuge – All das wirft ein paar Fragen bei mir auf, die aber zum Glück gleich beantwortet werden, denn ich bin hier für eine offizielle Führung angemeldet.

Notizblock und Aufnahmegerät sind bereit – ich fühle mich bestens gerüstet für alles, was da kommen mag. Wie ich aber feststellen werde, ist das hier eher ein Ort, der auf seine ganz eigene Art Sicherheit bietet, statt etwas von mir in Anspruch zu nehmen. Dazu später mehr.

Zunächst einmal suche ich mir meinen Tourguide – Das ist der Hartwig. Mit ihm bin ich verabredet, denn er ist Vorstandsmitglied des Vereins und bietet hier jeder*jedem Interessierten eine ausgedehnte Tour an.

Auf eine sehr herzliche Begrüßung folgt prompt eine Einführung in die Hintergründe des vielversprechenden äußeren Erscheinungsbildes (…Themen wie essbare Stadt, Mobilität im Alter – und natürlich der kölsche Klüngel kommen hier zusammen), dann geht es in den Innenhof, der vor allem Sitzgelegenheiten, diverse Recyclingbehälter und eine Menge Pflanzen beheimatet. Für den Verein spielen also neben dem sozialen Miteinander offensichtlich auch ökologische Aspekte unseres Alltags eine Rolle. (…Ach ja, und Treppe hoch wird Ballett getanzt, das hat jetzt hiermit nix zu tun, macht aber durch Kinderstimmen und Musik eine ganz großartige Atmosphäre.)

Die Location macht auf mich direkt einen wunderbar organischen Eindruck; hier wird offensichtlich eher aus einem Bauchgefühl heraus dekoriert als mit Design-Konzept, an vielen Stellen finden sich die künstlerischen Einflüsse des Vorstandsvorsitzenden „Günni“. Und wirklich jeder Gegenstand hat eine Geschichte zu erzählen – stellvertretend gibt Hartwig sie heute wider.

So geht Nachbarschaft.

Wie ich in den folgenden zweieinhalb Stunden (!) erfahren werde, wird hier ein Konzept der gelebten Nachbarschaft tatsächlich und tagtäglich und sehr tatkräftig umgesetzt. Das Ganze interessiert mich vor allem, weil das aktive Miteinander insbesondere unter urbanen Nachbar*innen wieder einen deutlichen Aufwärtstrend zu haben scheint. Schmitz&Kunzt versteht sich als soziokulturelle Einrichtung mit vier Säulen: Soziales Engagement, Nachhaltigkeit, Kunst & Kultur und Gemeinschaft als integrales Moment. „So geht Nachbarschaft“ lautet passend das Motto des seit Mai 2022 bestehenden Vereins.

Es ist ein Dienstagabend, fühlt sich aber an wie Wochenende: Diverse Menschen tummeln sich lässig bis fröhlich – Manche kommen und gehen wegen des Werkzeugverleihs („Bis hin zu einem kleinen Bagger kannst du alles ausleihen hier“), andere sitzen und reden einfach, einer malt und genießt dabei seinen Rotwein, während ein paar junge Freiwillige die Social-Period-Box leeren (…tolles Konzept übrigens: Sammelt Periodenhygieneartikel für Frauen in Not – gerne unterstützen!). Also irgendwie ist es hier angenehm lebendig, ohne hektisch zu wirken, passend zu der – ich sag mal „dynamisch-authentischen“ – Gesamtgestaltung der Location.

Wir gehen eine Treppe runter in den Hauptraum, der eigentlich schon draußen beginnt; hier kommt man nämlich erstmal am prall gefüllten Tauschregal und den Stecklingen für die nächste Pflanzentauschaktion vorbei.

Indoor erlebe ich eine Art Partykeller-Kunstraum-Spielzimmer-Coworkingspace; Es geht vorbei an vollen Kleiderstangen für den TauschRausch (…habe ich schon dran teilgenommen; super Sache, sofort hingehen!), überraschender Kleinstkunst aus Diarahmen (der Erlös wird gespendet), einem Schlagzeug (ein musikalisch hochbegabtes Kind aus der Nachbarschaft hatte zu Hause keinen Übungsraum – Nun wird es auch mit anderen Bands geteilt), ein paar weiteren Auszeichnungen, die etwas stiefmütterlich im Schatten des Kühlschranks mit gespendeten Getränken hängen, bis zur obligatorischen Bar (…wir sind immer noch in Köln, darf also nicht fehlen). Das Ganze gespickt mit diversen Anekdötchen vom Hartwig, die hier den Rahmen bei weitem sprengen würden; teils überraschend und witzig, teils interessant, teils ergreifend.

Der Raum spiegelt die undogmatische und anpassungsfähige Genetik des Vereins wider: Er muss vom Nachhaltigkeitskino bis zum Silberperlencafé genannten Seniorentreff für alle denkbaren Events herhalten – Und tut das offensichtlich gerne.

Ein kleines Stück Bronze mit großem Symbolwert

Wir erreichen den offiziellen Höhepunkt der Führung: Die Plakette des Elisabeth-Preises. Eine Auszeichnung für herausragende soziale Projekte und Initiativen, in der kein echtes Gold, aber echte Anerkennung steckt. Die konnte der designierte Vereinsvorsitzende „Günni“, der nicht nur unzählige Arbeitsstunden sondern auch schon eine Menge Privatvermögen in die Sache investiert hat, bei der Verkündung des Gewinns allerdings kaum verkraften, erzählt Hartwig; Er selbst sei in einen Freudentaumel ausgebrochen, während Günni halb ungläubig, ganz in sich gekehrt dagestanden habe. „Vielleicht hat ihn das gerührt, aber er wollte es nicht so zeigen“, vermutet Hartwig. Günni selbst bestätigt das später bei einem Zusammentreffen auf dem Hof und sagt, er habe sich vor allem über die damit einhergehende Wertschätzung für die rund 80 Ehrenamtler*innen des Vereins sehr gefreut.

Er plaudert dann noch ein wenig aus dem Nähkästchen und erzählt, dass es gar nicht so leicht war und ist, einen solchen Laden am Laufen zu halten; Denn am Ende des Tages, da machen wir uns nix vor, muss auch ein gemeinnütziger Verein diverse Kosten decken; Allen voran die Miete hier in der Kölner Innenstadt, wobei öffentliche Förderungen und Steuervergünstigungen leider nur einen begrenzten Teil zur Entlastung beitragen können. Momentan fehlen noch gut hundert Mitglieder, um monetär in ruhiges Fahrwasser zu kommen und in neue Projekte investieren zu können. Eine Menge Bälle in der Luft, die der Jongleur unter keinen Umständen fallen lassen will – denn es geht ihm eben um konkrete, echte Menschen. Hartwig schildert den sozialen Mehrwert der Institution aus seiner ganz persönlichen Sicht: „Ich spüre das, ja schon fast körperlich spüre ich das manchmal, wie die Leute sich freuen, wenn sie dann hier sind. Man wird umarmt, man kriegt ein nettes Wort, man hat jemand da, mit dem man sprechen kann.“

...wo bin ich hier eigentlich gelandet?!

Richard-Wagner-Straße 8, das ist vor allem eine Adresse.

Architektonisch gesehen: Ein heterogener Gebäudekomplex zwischen zwei Baulücken.

Soziokulturell gesehen: Ein „sozialer Raum“. Ein Ort also, der zwischenmenschliche Interaktionen und Beziehungen ermöglicht, an dem Nachbar*innen und sowieso Kölner*innen ganz anders zusammenkommen als an dem meisten anderen Orten.

Die Jury des Elisabeth Preises hat es wie folgt in Worte gefasst:

„Getragen durch Ehrenamtliche bietet das Projekt hervorragende Möglichkeiten, sich zusammenzutun und zu vernetzen. Die für alle offenen Räume und Angebote sind in Anbetracht der zunehmenden Anonymisierung und Vereinsamung vieler Menschen in der Stadt sehr wertvoll. (…) So geht Nachbarschaft.„

Wir sind und bleiben nun mal soziale Wesen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Auch wenn uns das hohle Glücksversprechen des Konsums etwas anderes vorgaukeln will; Wir brauchen andere Menschen. Vielleicht spielt auch dieser Aspekt hier eine tragende Rolle: Es handelt sich um einen sozialen, vollkommen kommerzfreien Raum. In der Soziologie nennt sich das Gesamtkonzept „Dritte Orte“, wird inzwischen vom Land NRW intensiv gefördert und ist eine Lese-Stippvisite wert!

Mir persönlich geht da echt das Herz auf – man mag mich dafür Hippiespinner nennen, ist OK. Ich glaube, wenn wir aber mal ehrlich mit uns sind, geht es doch vielen so; Dass wir uns deutlich mehr solcher Räume wünschen, in denen nicht jedes kommunikative Zeichen interessengelenkt ist und irgendetwas in mir auslösen soll (…in der Regel Konsum oder innere Haltungsänderung). Ist es also die Freiheit des unkommerziellen Raums, die eine besondere Gemeinschaft ermöglicht, welche die Menschen innerhalb des Vereins antreibt bzw. von außerhalb anzieht?

Ein Miteinander zum Selbstzweck – Das ist mal ‘ne gesellschaftliche Ansage.

"Wir haben das ganze Spektrum der Bevölkerung vertreten"

Für Hartwig zählt das Kollektiverlebnis zu den wichtigsten Aspekten des Vereinslebens: „Dieses Gefühl… ja, der Geborgenheit, könnte man schon fast sagen – Also zu wissen, man ist nicht allein, sondern man arbeitet mit vielen andern zusammen an einer gemeinsamen Sache. Das ist wichtig.“

Für- und mit- statt neben- oder gar gegeneinander; Eine Dynamik, die wir gar nicht mehr so oft erleben, ausgenommen im Freundes- oder Familienkreis (…letzteres auch nur mit Glück) – aber eben nicht im öffentlichen Raum bzw. mit Fremden. Vereine, Interessengemeinschaften und andere gemeinnützige NPOs können das. Und die Nachfrage wächst stetig, denn das Gemeinschaftliche ist wieder en Vogue – zum Glück.

Entsprechend gestaltet sich der überregionale Trend zur Etablierung neuer Formen des nachbarschaftlichen Miteinanders: Von Gemeinschaftsgärten über aktive Nachbarschaftsinitiativen wie dieser bis hin zum architektonischen Konzipieren „gemeinschaftlicher“ Wohnanlagen. Diverse europäische Städte erproben bereits verschiedene Formen kommunenhafter Projekte des Generationenübergreifenden oder Interessengelenkten Zusammenlebens; Es soll über ein reines Dasein Tür an Tür deutlich hinausgehen und einen persönlichen Mehrwert für alle Beteiligten bieten. Oft ergibt sich bei solcherlei Wohnprojekten und Initiativen eine Art Dorf-in-der-Stadt-Charakter und es scheint im Endeffekt immer um drei wesentliche Themen zu gehen: Kontakt, Hilfe und Lebensraumgestaltung. Ein paar sehr grundlegende Bedürfnisse des Menschseins also. Darunter fallen im Kontext des täglichen Zusammenlebens weitere Aspekte wie Toleranz, Krisenkommunikation, Wertschätzung, Kollektiverlebnisse und vieles mehr. Wichtig bei alledem: JEDE*R ist willkommen, alle sollen ihren Platz finden.

So auch in der „RiWa 8“: Auf den verfügbaren Quadratmetern werden hier möglichst viele Themen vereint; Man scheint wirklich jedem Anliegen Raum schaffen zu wollen. „Das Spektrum unserer Mitglieder bzw. unserer Ehrenamtler umfasst nicht nur alle möglichen Berufsgruppen, sondern auch alle möglichen Altersgruppen. […] Wir haben das ganze Spektrum der Bevölkerung vertreten. Und wo findet man sowas?!“ Dem bleibt Nichts hinzuzufügen. Was Hartwig mir auf unserer Tour als nächstes und letztes präsentiert, ist dann wieder etwas mehr im kühlen Digitalzeitalter verhaftet.

Endstation Ipad.

Das zentral positionierte Gerät soll die unkomplizierte Anmeldung als Vereinsmitglied ermöglichen. Klare Sache sollte man meinen, doch hiermit tun sich Viele dann wieder schwer. Warum das so ist, frage ich – aber da hat Hartwig auch nur ein Schulterzucken als Antwort; „Vereinsmitglied werden ist doch oldschool“, bekäme er manchmal zu hören. Dabei scheint das allgemeine Interesse an den Angeboten auch bei Jüngeren deutlich zuzunehmen. Vielleicht ist es die Verbindlichkeit; eine monatliche, wenn auch sehr kleine, Zahlung – da gehen ja bei vielen schnell die Warnblinker an. Im Vergleich allerdings zu den vielen anderen Dingen, für die wir Geld in den Rachen maligner Konzerne schmeißen, sind das ein paar wirklich gut investierte Euro, wie ich finde.

Und anstelle gezwungener Überzeugungs- und Onboarding-Versuche geht es direkt wieder so schön unaufdringlich und authentisch weiter wie bisher: Das Ipad hängt sich sogleich auf – „Naja, was solls.“ Zeit für ein Kaltgetränk und weitere Fragen zur Sache im gemütlichen Hof.

Hier wird Hartwig mir gegen Ende unserer Zeit noch eine eindrückliche Geschichte erzählen, die sich um eine akut von Altersarmut betroffene Nachbarin dreht und von Hartwig mit den Worten zusammengefasst wird: „Was da gefragt ist, ist schnelle Hilfe – und du glaubst gar nicht, wie dankbar die [A.d.R.: Menschen] sind.“ Das sei eine ganz wesentliche Stärke des gut vernetzten Vereins: Man könne im Gegensatz zu vielen städtischen bzw. staatlichen Instanzen in solchen Fällen „unbürokratisch helfen, schnell helfen – Günni ist ein Meister in schnellen Entscheidungen.“ Mehr brauche ich nicht zu hören, ich glaube den Kern der Sache verstanden zu haben: Menschlichkeit. Daher erinnere ich nach diesem Gespräch noch einmal an meine Mitgliedschaftsabsichten und so landen wir wieder hier am Ipad, das inzwischen von einer der vielen hier helfenden Hände rebooted wurde, so dass ich spontan Vereinsmitglied werden kann. Feine Sache, wirklich nicht teuer, fühlt sich sehr richtig an.

Wir haben viele der wilden Machenschaften von Schmitz und Kunzt mal auf unserer Map für euch gedroppt, also schaut euch dort gerne mal um; ihr findet so direkt heraus, was davon in eurer Nähe oder anderen Teilen von Köln stattfindet. Und – Opjepass, wichtige Ansage! – seit Neuestem könnt ihr in der Walby-App euer Profil und damit eure Drops auf einer persönlichen Map teilen; So könnt ihr übersichtlich zeigen, was eure Favoriten bzw. Empfehlungen sind oder wo ihr überall dabei wart. Viel Spaß dabei!

Eure Julia für Team Walby

Buchempfehlung:

Am Beispiel Wien wird hier gezeigt, wie Nachbarschaft als aktive Gemeinschaft gelingen kann, welche Stolpersteine aber auch welch großen Potentiale es birgt:

Claudia Huemer, Josef Cser (Hrsg.): „Auf gute Nachbarschaft“, erschienen im Brandstätter Verlag.

(PS: Nein, wir werden für solche Empfehlungen nicht bezahlt; ich habe das Buch tatsächlich gelesen und für wertvoll befunden :-))

Weiterführende Links:

https://www.schmitzundkunzt.de/index.php?q=1

https://www.socialperiod.org

https://www.bra.nrw.de/kultur-sport/kultur/dritte-orte-foerderprogramm-zur-verbesserung-der-kulturellen-infrastruktur

Und hier geht’s in die App:


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