Ein Abend am Bahnhof Köln: Team Walby @ Care 4 Cologne

Lesezeit: 5:30 Min.

Ich kenne keine Petra. Meine Kollegin Christa auch nicht, trotzdem finden wir Petra absolut wundervoll. Denn sie hatte 2015 das Bedürfnis, riesige Mengen Essen in ihrer Küche zuzubereiten, diese in einen Bollerwagen zu stellen, damit zur U-bahn zu gehen, bis zum Kölner Hauptbahnhof zu fahren und dort besagtes Essen an Menschen mit akuter Fluchterfahrung und Obdachlose zu verteilen. So Köln, das Ganze; met vell Hätz effe.

Gut 18 Jahre später stehen Christa und ich am Bahnhof, genauer gesagt am Breslauer Platz, wo gerade schon diverse Wärmeboxen angeliefert werden. Denn hier organisiert Care 4 Cologne, der gemeinnützige Verein, der aus Petras U-bahnfahrten entstanden ist, zweimal wöchentlich am Busbahnhof eine Ausgabe von Essen, Hygieneartikeln und Kleidung an bedürftige Menschen.

…Wir lernen die anderen freiwilligen Helfer*innen des Abends kennen, zwei Vertreter*innen des Vorstands sind auch vor Ort: Patrick und Andrea. Kurzer Schnack, Dann geht es auch direkt an den Aufbau, denn die Schlange der Wartenden hat bereits eine beachtliche Länge erreicht.

Hier warten Viele – und offensichtlich mit einer gewissen Dringlichkeit. Bei jedem der sogenannten Gänge, also Austeil-Aktionen, werden 130 bis 150 Gäste bedient. Jedes Mal seien neue Gesichter dabei, aber auch viele Stammgäste, erzählt mir Patrick später. Nicht nur Menschen ohne Obdach kommen hierher, sondern auch einfach bedürftige Menschen, von denen es scheinbar weit mehr gibt, als im Allgemeinen angenommen wird. Vielen sieht man ihre Bedürftigkeit deutlich an, manchen auch nicht – das Spektrum ist breit und die Charaktere entsprechend verschieden.

Ein Gast kommt heute an meinen Tisch, der Maske trägt – man ist es ja inzwischen gewohnt und denkt sich nichts dabei – doch der Hintergrund sei hier ein anderer als Corona, berichtet mir Andrea, auch Vorstandsmitglied, denn oft sei die Inanspruchnahme solcher Hilfen mit sehr viel Scham bei den Menschen verbunden. Ein Anderer kommt „als Begleitung“ und muss erst überredet werden, auch etwas anzunehmen, Andere trauen sich nur einige Male, hier zu essen – und dann nicht mehr.

Diesem leider gewichtigen Aspekt der Scham versuchen die Freiwilligen, scheinbar ohne groß drüber nachzudenken, entgegenzuwirken; Durch ihre, wie ich finde, wahnsinnig authentische, herzliche und selbstverständliche Freundlichkeit gegenüber allen (!) Gästen. Sofort ist für mich klar, dass diese Wertschätzung durch eine Begegnung auf Augenhöhe zu den wichtigsten Dingen zählt, die hier heute weitergegeben werden.

All das unterstützen – mal im Hintergrund organisierend, mal praktisch vor Ort – noch zwei weitere Vorstandsmitglieder: Dominic und Lena. Wie ich höre, alle mit viel Herzblut und Commitment. Andrea, die heute so routiniert anpackt, ist seit knapp zwei Jahren bei Care 4 Cologne im Einsatz; „Ich hab wirklich den schönsten Vorstandsjob, weil ich bin immer vorne mit dabei“ sagt sie – und diese Begeisterung ist deutlich spürbar.

Auch wenn es unter den Gästen mal lauter zugeht – die Stimmung bleibt absolut positiv und wir haben alle Hände voll zu tun, der Nachfrage gerecht zu werden. Manche wollen direkt zwei Portionen oder drängeln vor, da ist im Sinne der Fairness auch mal ein bisschen Durchsetzungsvermögen und Geduld gefragt, denn es sollen ja erstmal alle etwas abbekommen.

Patrick ist seit drei Jahren im Verein aktiv und berichtet, in dieser Zeit sei kein einziger Gang ausgefallen – egal welches Wetter, egal welcher Feiertag, egal welche Pandemie, immer dienstags und samstags.

An den weiteren fünf Tagen der Woche sind hier andere Organisationen im Einsatz; Helping Hands, Gemeinsam – Für die Platte oder der Kältebus zum Beispiel. Sie sorgen dafür, dass hier täglich ein Angebot an Menschen in Not gemacht werden kann.

Zu dem Gedanken, die hiesigen Behörden müssten diese Aufgabe jawohl eigentlich übernehmen, hat Patrick eine angenehm klare Meinung: „Ich glaube, dass wir absolut an der Basis arbeiten – das ist ein Punkt, wo sich die Stadt einfach nicht genug kümmert, das ist einfach Fakt.“

Andrea und er nehmen sich nach dem Gang noch die Zeit, mit uns ein paar Kölsch zu trinken und eingehender über ihre Arbeit zu berichten; Seit 2020 muss das Essen nicht mehr von Freiwilligen zu Hause selbst gekocht werden, sondern wird von Spender*innen wie Fairshare in Form eines fertigen Caterings bereit gestellt. Auch Oma Kleinmann, Meister Lampe, Bäckerei Schneider, die Muslimische Gemeinde Köln spenden regelmäßig frisches und wirklich gutes Essen.

Finanziell hält der Verein sich über private und institutionelle Spenden, Onlinetools wie Better Place sowie die Mitgliedsbeiträge (jede*r kann aber auch ohne Beitritt helfen!). Man habe sich inzwischen eine beachtliche Schar an Freiwilligen aufgebaut, was aber bei dem speziellen Konzept auch nötig sei, berichtet Patrick; Sie möchten das persönliche Engagement für alle möglichst flexibel halten und planen daher nicht mit langfristig festgelegten Schicht-Besetzungen, sondern führen eine große Liste, in die sich einfach alle eintragen können, wann sie halt mal Zeit haben.

Und die Rechnung scheint aufzugehen; Nicht nur sind immer genug helfende Hände vor Ort, Patrick empfindet es auch als besonders positive community: „Du hast ganz oft von der Persönlichkeit her gute Leute, gute Menschen.“

Dem kann ich hier mitten im laufenden Betrieb voll und ganz zustimmen; Christa und Andrea portionieren fleißig das warme Essen, zwei gutgelaunte Helfer*innen geben am zweiten Tisch Tütchen voll Süßem aus, während am dritten Tisch Hygieneartikel und Heißgetränke ‚über die Theke gehen‘ und einen Schritt weiter der vorherige Fahrer des Essens nun Schals und Handschuhe verteilt.

Was genau hier bei jedem Gang für die Menschen zur Verfügung steht, variiert je nach Jahreszeit und Nachfrage. Ein Gast holt sich nach Abbau des Standes noch einen letzte Woche bestellten Rucksack ab, jemand braucht spontan ein Pflaster und ein anderer eine große Tüte. Genau diese selbstverständliche Annahme individueller Anliegen zeigt mir noch einmal den Vorteil nicht-städtischer, selbstorganisierter Vereine.

Petra ist heute nicht vor Ort, aber natürlich noch immer Teil des Vereins – wobei das und auch die Bezeichnung „gute Seele“ scheinbar etwas zu kurz greift; Eine Kombination aus aktiver Stammzelle, Rückgrat und Herz trifft es vielleicht eher. (Sollte ich irgendwann das Glück haben, ihr persönlich zu begegnen, lasse ich es euch hier wissen!

Nach jedem Versorgungsgang gibt’s ein obligatorisches Gruppenbild der Helfenden 🙂

Gruppenbild

Als wir den Abend beenden, sind Christa und ich völlig beseelt – Immer ein etwas ambivalenter Moment, wie ich finde, wenn das Ehrenamt einen selbst glücklich macht, obwohl man eingangs ja etwas für Andere tun wollte. Aber das ist eben ein ganz wichtiger Punkt: Gutes tun tut gut. Und das darf es ruhig, denn dadurch kommen eben die vielen Helfer*innen zu Stande. Klassische win-win-situation.

Die Versammlung am Bus- Bahnhof hat sich inzwischen aufgelöst, alle Gäste sind wieder unterwegs und wir freuen uns tatsächlich schon sehr auf den nächsten Einsatz. Falls du auch Lust hast, Care 4 Cologne zu unterstützen, meld dich gerne bei den Vertreter*innen oder schau dir die tolle Spenden-Aktion im kommenden Januar an, bei der ein Streetart-Kalender von verschiedenen Künstler*innen bereitgestellt wird, um den Nettoerlös des Verkaufs komplett an Care 4 Cologne zu spenden.

Egal wofür du dich entscheidest: Viel Freude dabei!

Deine Julia für Team Walby

Weiterführende Links:

https://care4cologne.de

https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presseservice/winterhilfe-20232024-der-stadt-koeln

https://mystreetartgallery.com/pages/charity-calender

https://www.betterplace.org/de/projects/65356-versorgung-von-obdachlosen-und-hilfsbeduerftigen-am-koelner-hbf

Spender*innen für Care 4 Cologne:

Meister Lampe

https://www.meisterlampe.eu

Bäckerei schneider

https://www.baecker-schneider.de/?gclid=CjwKCAiAsIGrBhAAEiwAEzMlC9at-6bN8hcRuI_8RtKMf-KbFRwiuVlLNtuKEAKs7Ud_bnuYfNPW-hoCtAgQAvD_BwE

Oma Kleinmann

https://www.beiomakleinmann.de

Ahmadiyya Muslim Jamaat / Muslimische Gemeinde Köln

https://ahmadiyya.de/gebetsstaette/moscheen/koeln/browse/1/

Fairshare

https://www.fairshare-koeln.de

Contentempfehlung:

Das ZDF hat sich in verschiedenen Sparten dem Thema Obdachlosigkeit angenommen:

37 Grad Leben: Jung und Obdachlos – Mit einer Wohnung zurück ins Leben? https://www.zdf.de/dokumentation/37-grad-leben/jung-und-obdachlos-mit-einer-wohnung-zurueck-ins-leben-102.html

Planet Wissen: Obdachlos – und kein Weg zurück?

https://www.zdf.de/swr/planet-wissen/page-video-ard-obdachlos—und-kein-weg-zurueck-100.html

ZDF Info Doku: Leben auf der Straße – Obdachlos und abgehängt.

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku/leben-auf-der-strasse-obdachlos-und-abgehaengt–100.html

Mit dem Thema Altersarmut bei Frauen beschäftigt sich zum Beispiel die NDR-Dokumentation Reiches Land-Arme Frauen.

https://www.youtube.com/watch?v=9u_jrQGceR8

Der zunehmenden Lebensmittel-Nachfrage bei den Tafeln in ganz Deutschland widmet sich der Film Arte Regards: Tafeln am Limit.

https://www.youtube.com/watch?v=lKwDCEBhXO4

Und hier geht’s in die App:


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